| Hero und LeanderFriedrich Schiller
 Seht ihr dort die altergrauen
 Schlösser sich entgegenschauen,
 Leuchtend in der Sonne Gold,
 Wo der Hellespont die Wellen
 Brausend durch der Dardanellen
 Hohe Felsenpforte rollt?
 Hört ihr jene Brandung stürmen,
 Die sich an den Felsen bricht?
 Asien riß sie von Europen;
 Doch die Liebe schreckt sie nicht.
 
 Heros und Leanders Herzen
 Rührte mit dem Pfeil der Schmerzen
 Amors heil'ge Göttermacht.
 Hero, schön wie Hebe blühend,
 Er, durch die Gebirge ziehend
 Rüstig, im Geräusch der Jagd.
 Doch der Väter feindlich Zürnen
 Trennte das verbundne Paar,
 Und die süße Frucht der Liebe
 Hing am Abgrund der Gefahr.
 
 Dort auf Sesto's Felsenthurme,
 Den mit ew'gem Wolkensturme
 Schäumend schlägt der Hellespont,
 Saß die Jungfrau, einsam grauend,
 Nach Abydos' Küste schauend,
 Wo der Heißgeliebte wohnt.
 Ach, zu dem entfernten Strande
 Baut sich keiner Brücke Steg,
 Und kein Fahrzeug stößt vom Ufer;
 Doch die Liebe fand den Weg.
 
 Aus des Labyrinthes Pfaden
 Leitet sie mit sicherm Faden,
 Auch den Blöden macht sie klug,
 Beugt ins Joch die wilden Thiere,
 Spannt die feuersprühnden Stiere
 An den diamantnen Pflug.
 Selbst der Styx, der neunfach fließet,
 Schließt die Wagende nicht aus;
 Mächtig raubt sie das Geliebte
 Aus des Pluto finsterm Haus.
 
 Auch durch des Gewässers Fluthen
 Mit der Sehnsucht feur'gen Gluthen
 Stachelt sie Leanders Muth.
 Wenn des Tages heller Schimmer
 Bleichet, stürzt der kühne Schwimmer
 In des Pontus finstre Fluth,
 Theilt mit starkem Arm die Woge,
 Strebend nach dem theuren Strand,
 Wo, auf hohem Söller leuchtend,
 Winkt der Fackel heller Brand.
 
 Und in weichen Liebesarmen
 Darf der Glückliche erwarmen
 Von der schwer bestandnen Fahrt
 Und den Götterlohn empfangen,
 Den in seligem Umfangen
 Ihm die Liebe aufgespart,
 Bis den Säumenden Aurora
 Aus der Wonne Träumen weckt
 Und ins kalte Bett des Meeres
 Aus dem Schooß der Liebe schreckt.
 
 Und so flohen dreißig Sonnen
 Schnell, im Raub verstohlner Wonnen,
 Dem beglückten Paar dahin,
 Wie der Brautnacht süße Freuden,
 Die die Götter selbst beneiden,
 Ewig jung und ewig grün.
 Der hat nie das Glück gekostet,
 Der die Frucht des Himmels nicht
 Raubend an des Höllenflusses
 Schauervollem Rande bricht.
 
 Hesper und Aurora zogen
 Wechselnd auf am Himmelsbogen;
 Doch die Glücklichen, sie sahn
 Nicht den Schmuck der Blätter fallen,
 Nicht aus Nords beeisten Hallen
 Den ergrimmten Winter nahn.
 Freudig sahen sie des Tages
 Immer kürzern, kürzern Kreis;
 Für das längre Glück der Nächte
 Dankten sie bethört dem Zeus.
 
 Und es gleichte schon die Wage
 An dem Himmel Nächt' und Tage,
 Und die holde Jungfrau stand
 Harrend auf dem Felsenschlosse,
 Sah hinab die Sonnenrosse
 Fliehen an des Himmels Rand.
 Und das Meer lag still und eben,
 Einem reinen Spiegel gleich,
 Keines Windes leises Weben
 Regte das krystallne Reich.
 
 Lustige Delphinenschaaren
 Scherzten in dem silberklaren
 Reinen Element umher,
 Und in schwärzlicht grauen Zügen,
 Aus dem Meergrund aufgestiegen,
 Kam der Tethys buntes Heer.
 Sie, die Einzigen, bezeugten
 Den verstohlnen Liebesbund;
 Aber ihnen schloß auf ewig
 Hekate den stummen Mund.
 
 Und sie freute sich des schönen
 Meeres, und mit Schmeicheltönen
 Sprach sie zu dem Element:
 "Schöner Gott, du solltest trügen!
 Nein, den Frevler straf' ich Lügen,
 Der dich falsch und treulos nennt.
 Falsch ist das Geschlecht der Menschen,
 Grausam ist des Vaters Herz;
 Aber du bist mild und gütig,
 Und dich rührt der Liebe Schmerz."
 
 "In den öden Felsenmauern
 Müßt' ich freudlos einsam trauern
 Und verblühn in ew'gem Harm;
 Doch du trägst auf deinem Rücken,
 Ohne Nachen, ohne Brücken,
 Mir den Freund in meinen Arm.
 Grauenvoll ist deine Tiefe,
 Furchtbar deiner Wogen Fluth,
 Aber dich erfleht die Liebe,
 Dich bezwingt der Heldenmuth."
 
 "Denn auch dich, den Gott der Wogen,
 Rührte Eros' mächt'ger Bogen,
 Als des goldnen Widders Flug
 Helle, mit dem Bruder fliehend,
 Schön in Jugendfülle blühend,
 Über deine Tiefe trug.
 Schnell, von ihrem Reis besieget,
 Griffst du aus dem finstern Schlund,
 Zogst sie von des Widders Rücken
 Nieder in den Meeresgrund."
 
 "Eine Göttin mit dem Gotte,
 In der tiefen Wassergrotte,
 Lebt sie jetzt unsterblich fort;
 Hilfreich der verfolgten Liebe,
 Zähmt sie deine wilden Triebe,
 Führt den Schiffer in den Port.
 Schöne Helle, holde Göttin,
 Selige, dich fleh' ich an:
 Bring auch heute den Geliebten
 Mir auf der gewohnten Bahn!"
 
 Und schon dunkelten die Fluthen,
 Und sie ließ der Fackel Gluthen
 Von dem hohen Söller wehn.
 Leitend in den öden Reichen
 Sollte das vertraute Zeichen
 Der geliebte Wandrer sehn.
 Und es saust und dröhnt von ferne,
 Finster kräuselt sich das Meer,
 Und es löscht das Licht der Sterne,
 Und es naht gewitterschwer.
 
 Auf des Pontus weite Fläche
 Legt sich Nacht, und Wetterbäche
 Stürzen aus der Wolken Schooß;
 Blitze zucken in den Lüften,
 Und aus ihren Felsengrüften
 Werden alle Stürme los,
 Wühlen ungeheure Schlünde
 In den weiten Wasserschlund;
 Gähnend, wie ein Höllenrachen,
 Öffnet sich des Meeres Grund.
 
 "Wehe, weh mir!" ruft die Arme
 Jammernd. "Großer Zeus, erbarme!
 Ach, was wagt' ich zu erflehn!
 Wenn die Götter mich erhören,
 Wenn er sich den falschen Meeren
 Preis gab in des Sturmes Wehn!"
 Alle meergewohnten Vögel
 Ziehen heim, in eil'ger Flucht;
 Alle sturmerprobten Schiffe
 Bergen sich in sichrer Bucht.
 
 "Ach, gewiß, der Unverzagte
 Unternahm das oft Gewagte,
 Denn ihn trieb ein mächt'ger Gott.
 Er gelobte mir's beim Scheiden
 Mit der Liebe heil'gen Eiden,
 Ihn entbindet nur der Tod.
 Ach, in diesem Augenblicke
 Ringt er mit des Sturmes Wuth,
 Und hinab in ihre Schlünde
 Reißt ihn die empörte Fluth!"
 
 "Falscher Pontus, deine Stille
 War nur des Verrathes Hülle,
 Einem Spiegel warst du gleich;
 Tückisch ruhten deine Wogen,
 Bis du ihn heraus betrogen
 In dein falsches Lügenreich.
 Jetzt, in deines Stromes Mitte,
 Da die Rückkehr sich verschloß,
 Lässest du auf den Verrathnen
 Alle deine Schrecken los!"
 
 Und es wächst des Sturmes Toben,
 Hoch, zu Bergen aufgehoben,
 Schwillt das Meer, die Brandung bricht
 Schäumend sich am Fuß der Klippen;
 Selbst das Schiff mit Eichenrippen
 Nahte unzerschmettert nicht.
 Und im Wind erlischt die Fackel,
 Die des Pfades Leuchte war;
 Schrecken bietet das Gewässer,
 Schrecken auch die Landung dar.
 
 Und sie fleht zu Aphrodite,
 Daß sie dem Orkan gebiete,
 Sänftige der Wellen Zorn,
 Und gelobt, den strengen Winden
 Reiche Opfer anzuzünden,
 Einen Stier mit goldnem Horn.
 Alle Göttinnen der Tiefe,
 Alle Götter in der Höh'
 Fleht sie, lindernd Öl zu gießen
 In die sturmbewegte See.
 
 "Höre meinen Ruf erschallen,
 Steig aus deinen grünen Hallen,
 Selige Leukothea!
 Die der Schiffer in dem öden
 Wellenreich in Sturmesnöthen
 Rettend oft erscheinen sah.
 Reich' ihm deinen heil'gen Schleier,
 Der, geheimnißvoll gewebt,
 Die ihn tragen, unverletzlich
 Aus dem Grab der Fluthen hebt!"
 
 Und die wilden Winde schweigen,
 Hell an Himmels Rande steigen
 Eos' Pferde in die Höh'.
 Friedlich in dem alten Bette
 Fließt das Meer in Spiegelglätte,
 Heiter lächelnd Luft und See.
 Sanfter brechen sich die Wellen
 An des Ufers Felsenwand,
 Und sie schwemmen, ruhig spielend,
 Einen Leichnam an den Strand.
 
 Ja, er ist's, der auch entseelet
 Seinem heil'gen Schwur nicht fehlet!
 Schnellen Blicks erkennt sie ihn.
 Keine Klage läßt sie schallen,
 Keine Thräne läßt sie fallen,
 Kalt, verzweifelnd starrt sie hin.
 Trostlos in die öde Tiefe
 Blickt sie, in des Äthers Licht,
 Und ein edles Feuer röthet
 Das erbleichte Angesicht.
 
 "Ich erkenn' euch, ernste Mächte!
 Strenge treibt ihr eure Rechte,
 Furchtbar, unerbittlich ein.
 Früh schon ist mein Lauf beschlossen;
 Doch das Glück hab' ich genossen,
 Und das schönste Loos war mein.
 Lebend hab' ich deinem Tempel
 Mich geweiht als Priesterin;
 Dir ein freudig Opfer sterb' ich,
 Venus, große Königin!"
 
 Und mit fliegendem Gewande
 Schwingt sie von des Thurmes Rande
 In die Meerfluth sich hinab.
 Hoch in seinen Fluthenreichen
 Wälzt der Gott die heil'gen Leichen,
 Und er selber ist ihr Grab.
 Und mit seinem Raub zufrieden,
 Zieht er freudig fort und gießt
 Aus der unerschöpften Urne
 Seinen Strom, der ewig fließt.
 
 
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